Ein kühle Sicht auf die Nationalratswahl 24 – samt Schlussfolgerungen

Josef Baum

„Revolutionäres liegt in der Luft“ schreibt Chefredakteur Christoph Dichand in seiner Krone höchstpersönlich, nachdem diese seit Monaten auf unappetitliche Weise alle abstraft, die sein Milliardenvermögen ein bisschen besteuern wollen. Was daran „revolutionär“ sein soll, wenn es wieder einen „Volkskanzler“ geben würde? Na ja, der bisher einzige Volkskanzler war ja auch „revolutionär“, wenn auch in eigener Sicht „nationalrevolutionär“. Wobei damals diese „Revolutionäre“ auch nicht viel mehr als 30 % hatten und der damalige „Volkskanzler“ nur durch Konservative an die Macht kam.

Ewiggestriges wird manchmal als revolutionär verkauft. (Übrigens: Auch die Nazis glaubten, sich NationalSOZIALISTEN nennen zu sollen.)

Das Unerfreuliche ist bekannt, es gibt aber auch Bemerkenswertes:

Sehr bemerkenswert ist das Land-Stadt-Gefälle: Rechte Parteien haben auch bei dieser Wahl in ländlichen Gebieten deutlich mehr Anteile. Umgekehrt ist das bei den anderen Parteien, und am stärksten bei der KPÖ. Dies hat verschiedene Ursachen, auch in der Sozialstruktur. Gerade in Niederösterreich ist das eine große Herausforderung.

Die Babler-SPÖ ist unter ihrem Wert geschlagen worden. Beispiellose Medienangriffe haben dazu beigetragen, und auch unsägliche Querschüsse aus Teilen des Parteiestablishments, das um kleine Pfründe besorgt ist. Auch die niederösterreichische Parteiführung ist da mit von der Partie. So ist trotz einer Aktivierung der Basis kein Stimmenfortschritt gelungen. Sicher haben linke Konkurrenzparteien auch Stimmen gekostet, andererseits wanderten offenbar Grünstimmen zur Babler-SPÖ. Bemerkenswert ist, dass die SPÖ im Burgenland 3 Prozentpunkte verlor, sie erlitt dort ein „Fiasko“ (Presse) – offenbar auch, weil sie dort die FPÖ salonfähig gemacht hatte; während die SPÖ in Wien 3 Prozentpunkte gewann.

Das starke Stutzen der Grünen wird offenbar leider weniger Gewicht für Klimapolitik bedeuten, es ist auch durch manche soziale Insensibilität zu erklären. Und gerade in Niederösterreich versucht sich die grüne Führung schon länger in banaler Machtpolitik, was zu einer sichtbaren Verengung führte.

Für die Bierpartei wird das Ergebnis eher das Ende bedeuten, was nicht bierernst traurig machen muss.

Für die KPÖ ist das Ergebnis eher ein neuer Anfang, auf dem laut Bundessprecher Tobias Schweiger „aufgebaut“ werden kann. Die KPÖ hat mit 2,4 % immerhin das Dreieinhalbfache an Stimmen im Vergleich zur letzten Wahl erreicht. Es ist schon interessant, dass, während in den Medien der Zuwachs der FPÖ mit ca. 60 % das Hauptthema ist, der Zuwachs der KPÖ um ca. 250 % kaum erwähnt wird. Immerhin ist damit erstmals seit über 60 Jahren eine konsequente Linkskraft wieder deutlich sichtbar geworden.

Das KPÖ-Ergebnis in Graz mit 6 % (+ 3,8 %-Punkte) und in Salzburg mit 6,2 % (+ 4,9 %-Punkte) ist sehr gut, und mindestens genauso in Wien mit 3,8 % (+3 %, mehr als eine Vervierfachung). Dafür war das lang geplante Bündnis mit LINKS Wien sicher förderlich. Daraus kann abgeleitet werden, dass insgesamt bei weiterem Einbeziehen von Linken im Sinne von mehr „Plus“ bei „KPÖ Plus“ wahrscheinlich verbessert hätte werden können. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum es zu keiner Vereinbarung zwischen KPÖ und Wandel kommen konnte. – Dazu auch etwas Persönliches: Ich habe kurz vor dem Einreichtermin das Anbot erhalten, an hinterer Stelle von KPÖ Plus zu kandidieren. Ich habe es letztlich nicht angenommen, weil mir das zu kurzfristig war, um ernsthaft einen Wahlkampf zu führen.

In Niederösterreich ist das KPÖ-Ergebnis mit 1,58 % bei einer Verdreifachung deutlich unterdurchschnittlich, was auch mit der erwähnten Rechts-Dominanz in ländlichen Gebieten zusammenhängt. Zusammen haben „Keine“, Petrovic und Gaza in etwa ebenso viel in Niederösterreich erreicht.

Und ja, es ist schmerzlich, dass laut ORF 50 % der ArbeiterInnen FP gewählt haben. Aber die ganze Wahrheit ist, dass ein sehr großer Teil der Arbeiterinnen in Wirklichkeit gar nicht wahlberechtigt ist.

Hinter den Kulissen wird sicher nun um eine kreative Form einer ÖVP-FPÖ-Regierung gerungen werden, zumal ÖVP und FPÖ einander unterstellen, das neoliberale Programm voneinander abgeschrieben zu haben. Und sehr dahinter ist die Industriellenvereinigung, selbst der so „liberale“ frühere ÖIV-Präsident Kapsch tritt nun massiv dafür ein.

Das Wahlergebnis bedeutet im Gesamten sicher nichts Gutes. Wenn aber im ORF bei 29 % von „Kontinentalverschiebung“ und dergleichen die Rede ist, dann sollte man doch die Kirche im Dorf lassen. Schon 1999 lag die FPÖ unter Haider bei 27 %. Zugespitzt: Wenn sie jeweils 25 Jahre brauchen, um nach Rückschlägen letztlich weitere 2 Prozentpunkte zu gewinnen, dann sind sie im Jahre 2300 über 50 %.

Bekanntlich sind ähnliche Entwicklungen auch in anderen Ländern anzutreffen, wenngleich Österreich mit der schwarz-blauen Regierung 2000 in Europa leider ein unrühmlicher Vorreiter war. Daher bitte nun nicht mehr Panik als in den letzten 25 Jahren, aber die Energie in eine langfristige Gegenstrategie lenken.

NATÜRLICH IST DAS JETZIGE ERGEBNIS SCHMERZLICH, ABER ES DIE FORTSETZUNG EINES ZUSTANDS, AN DEN WIR UNS OFFENBAR (LEIDER) GEWÖHNT HABEN

Seit der Zeit, in der es in Österreich Wahlen gibt, seit über 100 Jahren, haben konservative und nationalistische rechte Parteien – außer in der Ära Kreisky – immer zusammen eine absolute Mehrheit. Diesmal liegen sie zusammen mit 55,5 % etwas über dem Schnitt, 2019 hatten sie zusammen 53,7 %, aber 2017 sogar 58,4 % (2002: 52,3 %, 1999: 53,8 %). Natürlich ist das Stimmenverhältnis von ÖVP und FPÖ nicht unwichtig, und das hat sich diesmal wieder zur FPÖ verschoben. Aber dahinter liegen zum Teil ähnliche Haltungen, unabhängig ob FPÖ oder ÖVP gewählt wird. Und auch in der ÖVP-Führung ist das nicht ganz anders, denn wie wäre „Mit Kickl nicht, aber mit der FPÖ schon“ sonst zu erklären.

Die FPÖ-Stimmenanteile gingen zwar immer wieder vorrübergehend zurück, nach Skandalen à la Ibiza, beim Auftreten von ähnlichen Parteien à la Stronach oder nach einem Landesbankrott à la Kärnten. Aber die nationalistischen, antisolidarischen und zukunftsignorierenden Geisteshaltungen bleiben und blieben und kommen immer wieder zum Vorschein. Am Auffälligsten ist das in Kärnten, mit einer langen massiven geschichtlichen Tradition der Rechtsaussen-Kräfte, die jetzt nach dem Bankrott von Haider und Nachfolgern dort wieder zu alter Stärke zurückfinden.

WICHTIGER ALS WAHLERGEBNISSE IST DER MITTEL- UND LANGFRISTIGE KAMPF UM INHALTE (MAN KÖNNTE AUCH SAGEN: IDEOLOGIEN) IN KÖPFEN UND HERZEN (Nach Gramsci: Die „Hegemonie“ erreichen)

Ein wesentlicher Grund dafür, dass die rechten (konservativen bis rechtsradikalen) Parteien ihren Einfluss behalten und immer wieder ausbauen, ist, dass bestehende „Mitte Links“-Parteien wie SPÖ und Grüne zum Teil die Logik des bestehenden Wirtschaftssystems verinnerlicht haben, sich zum Teil im bestehenden Privilegien- und Wirtschaftssystem eingerichtet haben und so den Zugang zu vielen Menschen verloren haben und dadurch (für viele Menschen) keine Alternative anbieten. Dadurch wird der Demagogie der Rechten Vorschub geleistet. Letztlich ist insbesondere die SPÖ längere Zeit von neoliberalem Gedankengut infiziert gewesen.

Ein plakatives Beispiel: Nicht überraschend ist, dass Kurz nach seinem Ausscheiden bei einem rechtsradikalen US-Milliardär und sonstigen Größen des Establishments andockte; Blümel ähnlich; Köstinger bei Ryanair; Ex-Wirtschaftsministerin Schramböck beim weltgrößten Ölkonzern Aramco. Bemerkenswert ist aber, dass eben auch, wie bekannt, Gusenbauer und Glawischnig ähnliches machten.

Es führt letztlich kein Weg daran vorbei, durch konkrete Arbeit bei denjenigen wieder Vertrauen zu gewinnen, die die FP aus „Protest“ gewählt haben.

DIE DERZEIT ZUNEHMENDE RECHTE DOMINANZ IST AUCH DAS ERGEBNIS EINER LANGEN MINDERLEISTUNG BESTEHENDER „MITTE LINKS“-PARTEIEN, WENNGLEICH IN DIESEN PARTEIEN SICHER NOCH IMMER SEHR VIELE WICHTIGE AKTIVITÄTEN GESETZT WERDEN.

Das Verhindern und Warnen bezüglich der Rechten ist auf Dauer nicht ausreichend. Da diverse Krisenelemente sich immer wieder vertiefen werden, ist organisiertes gemeinsames strategisches Handeln angesagt.

Es sind zunächst konkrete Alternativen und auch Hilfen wie Beratungen anzubieten, um letztlich Vertrauen in gesellschaftliche Gesamtalternativen aufzubauen. Dabei sind diverse zivilgesellschaftliche Zusammenhänge wichtig. Aber letztlich sind effektive langfristige Organisationsstrukturen aufzubauen. Nur diese könnten der kaum zu überschätzenden Macht des großen Kapitals und der von diesem dominerten Institutionen (bis hin zu den Medien) dauerhaft Widerstand leisten, Alternativen anbieten und offensiv werden.

Konkret wird eine eventuelle Koalition ÖVP-SPÖ und einer weiteren Partei kaum die bisherige Entwicklung umkehren, eher noch vertiefen. Bei einer Koalition mit der ÖVP wird wohl wahrscheinlich letztlich nicht viel Gescheites herauskommen, und die diversen Krisen (Kriege, Klima, Energie) werden weitergehen. Auch deswegen sind alternative politische Strukturen wichtig.

● DA WIR EINEM MACHTVOLLEN HERRSCHAFTSSYSTEM GEGENÜBERSTEHEN, DAS AUF DEM GROSSEN GELD MITSAMT SEINER MEDIEN AUFGEBAUT IST, IST DIE NOTWENDIGKEIT DES AUFBAUS EFFEKTIVER, LANGFRISTIG STABILER ORGANISATIONSSTRUKTUREN NAHELIEGEND